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[Tag 056-060] Bergell & Avers

(… ich mache nun einfach dort weiter, wo ich vorgestern aufgehört habe.)

Das Praktische an einer Zeltnacht: Man braucht keinen Wecker stellen.

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Ziel der folgenden schönen Tagesetappe, die sich zwischen Sasso Nero und Lago Palü durchschlängelt, ist der (rein italienische) Natur-Urlaubsort Chiareggio. Und zum zweiten Mal innerhalb einer Woche übernachte ich – wie schon im Rifugio Eita – quasi in der Kirche. Diesmal ist es die Bar St. Anna, die ihren Schutzmantel für eine Nacht über mich ausbreitet. Mein (im Bild offenes) Fenster im zweiten Stock hat’s nicht extrig weit zu Annas heiligen Glocken, also brauche ich mich erneut nicht ums zu späte Aufstehen sorgen.

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Im Ort gibt es bei Carla auch Einkaufsmöglichkeiten für den Konnossör.

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Seit meinem – ich weiß gar nicht mehr wievielten – erneuten Übertritt nach Italien (zuletzt von Poschiavo kommend) habe ich einen schneebedeckten Gipfel im Visier, der mich magisch anzieht. Glücklicherweise führt auch mein Weg in die Richtung des “Monte Disgrazia”. Wieder ein Bergname, der mir außerordentlich gut gefällt. Klingt auf italienisch auch viel erhabener als … tja … “Schandberg”.

3678 m ist sie hoch, die Schande, die im Veltlin ein jeder ins Herz geschlossen zu haben scheint. Und ich habe in Chiareggio das Glück, einen (den?) Mann kennenzulernen, der die hier sichtbare Nordflanke vom Gipfel weg mit den Schiern abgefahren ist. Unvorstellbar.

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Für mich geht’s von der Disgrazia wieder in die Schweiz rüber, und zwar nach Maloja. Der gleichnamige Pass ist mir vom Motorradfahren bereits bekannt – und nicht der einzige Sattel, den ich auf dieser Tour zum ersten Mal von viel weiter oben sehe.

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Einen Malojasee hätte ich auch noch aufzubieten.

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Der nächste Tag soll mich nach Juf führen, dem höchsten ganzjährig bewohnten Dorf Europas. Der Aufstieg auf den ca. 2600 m hohen Passo Lunghin ging recht schnell, denn eine böse Gewitterwolke trieb mich den Berg hinauf, als gäbe es kein Morgen.

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Der Pass Lunghin ist übrigens – wie mein Zielort Juf – in Europa einzigartig. Auf seinem Sattel verteilen sich die Niederschläge nicht nur auf langweilige zwei, sondern auf drei verschiedene Meere – der Pass ist also die einzige – nein, das weiß ich eigentlich gar nicht – aber jedenfalls die höchste dreigeteilte Wasserscheide Europas.

Hier die Fließwasserroute Richtung Mittelmeer.

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Ich habe an diesem regenreichen Tag allerdings nur Augen für das Wasser, dass über meinen Nacken in die Hose und weiter in meine Schuhe rinnt.

Weshalb ich bei der Ankunft in Juf sehr froh bin, dass mir das “Touristenlager” alleine gehört, und ich alle anderen 20 Betten mit meinem nassen Zeug zuhängen darf. Touristenlager sind für Schweiz-Weitwanderer übrigens eine segensreiche Einrichtung, liegen doch zwischen einem Zimmer- und einem Lagerbett in der Regel um die 40 Euro. In anderen Worten: Der Lagerplatz kostet immer noch so an die 35 Euro aufwärts – ohne Futter, versteht sich.

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Am nächsten Tag sind die Regenwolken – wie ich vernehme – nach Wien weitergezogen. Grund genug für mich, an der entgegengesetzten Richtung festzuhalten.

Das Averser Tal endet bergseitig in Juf – mein heutiger Auftrag lautet, es talabwärts zu durchstreifen. Für mich ist das wie ein Ruhetag – zum ersten Mal seit Meran (dem letzten Ruhetag) keine 1000 Höhenmeter im Aufstieg.

Wenn’s anders wär, wär’s mir aber auch wurscht. Überhaupt fühle ich mich fit wie nie zuvor. Ich hab gar kein Bedürfnis nach einem Ruhetag. Wenn’s wirklich einmal ungut regnet vielleicht. Aber vorher? Sicher nicht! Mir geht’s grad gut, und es “läuft” einfach.

Und nichts kann mich derzeit aus der Ruhe bringen …

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… auch kein sich mir in den Weg stellender, schießwütiger Hydrant.

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Ich freu’ mich lieber über Blumen, die so manche Altersfalte kaschieren …

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… und über eine großartige Initiative der Averser: Die alte Handelsstraße (Walserweg), die beinahe dem Verfall preisgegeben war, wurde in den letzten 1 1/2 Jahrzehnten Stück für Stück restauriert und ist nun einer der spannendesten Abschnitte der von mir besuchten Via Alpina. www.aast.ch

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Bei der Bushaltestelle, wo ich auf das Shuttle zu meinem Quartier warte, kann ich mich noch schnell in die geltende Hydrantenverordnung einlesen.

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Am nächsten Morgen geht’s mit dem Bus zurück nach Innerferrera, und vom Trittbrett aus gleich wieder 900 Meter hinauf. Und damit zurück nach Italien. Der Aufstieg ist schon lange keine Herausforderung mehr, sondern reiner Genuss. Genau in der Kerbe über dem Stall ist Italien.

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Und hier der Blick vom Pass hinunter zum Rifugio Bertacchi. Versteht Ihr, warum ich keine Sorgen mehr habe?

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Vom freundlich geführten Rifugio geht es hinunter zum Splügensee …

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… wo ein weiterer historischer Passübergang vorbeizieht. Auch hier war ich bereits. Den Splügenpass habe ich in guter Erinnerung, ist er doch der einzige (mir bekannte) Pass, wo man durch eine endlose Abfolge von aus dem Fels gehauenen, unbeleuchteten Tunnels fährt.

Der Fußweg, der vom See nach Isola hinunter führt, ist genauso schön und abwechslungsreich, wie er hier auf diesem Foto ausschaut (man beachte die Kerbe am rechten Bildrand).

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Tja, und jetzt bin ich in Isola und werde den Bericht hier und jetzt zu einem Ende bringen, denn …

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Gute Nacht!

 

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Last modified: 3. Juni 2017
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