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LUKAN, Karl: Alpenspaziergang. Durch die Alpen von Wien bis Nizza

LUKAN, Karl: Alpenspaziergang

Wer sich nach Einstimmungslitertur für eine längere Wanderung am Alpenbogen umsieht, kommt am “Alpenspaziergang” nicht vorbei.  Die Lukans waren Anfang der 1980er Jahre die ersten Längs-Durchquerer, die ihre Tour in Buchform dokumentierten.

Der Buchtitel “Alpenspaziergang” könnte nicht besser gewählt sein. Denn für das Wiener Ehepaar war eines wichtig und von vornherein klar: Diese außergewöhnliche Wanderung ist keine Rekordjagd – stattdessen soll genussvolles Strawanzen im Mittelpunkt stehen. Die beiden haben sich für ihr Abenteuer einen ganzen Sommer lang freigehalten, damit sie unterwegs auch ohne Zeitdruck ein wenig nach links und rechts schauen können. Weshalb sie auch sehr zeitig, nämlich bereits am 01. Mai, loszogen. Viel zu früh, wie sich bald herausstellen sollte. Manch einer wird sich erinnern können: Die erste Hälfte des 80er-Jahrzehnts war allerorten noch sehr schneereich. Nicht in Wien vielleicht, denn sonst hätte sich die beiden erfahrenen Bergfexe bereits in Rodaun denken können, dass sie Ende Mai noch nicht trockenen Fußes über die Karnischen Alpen kommen – denn in Kärnten war damals ein Winter halt noch echter Winter.

“Seid’s wieder unterwegs? Geht’s wieder auf den Unterberg?”
“Diesmal ein bisserl weiter. Durch die Alpen bis nach Nizza.”
“Ach so … bis Nizza … da werdet ihr aber schon gut zwei Wochen lang unterwegs sein!”

Doch bis Kärnten mussten sie für eine Einschätzung der Großwetterlage gar nicht gehen. Schon bald nach Wien war klar, dass die hohen Gipfel der östlichen Gebirgszüge um diese Zeit noch Tabu sind. Soweit ich ihre Pläne rekonstruieren konnte, hätte es im ersten Teil über Schneeberg & Rax ins Mariazellerland gehen sollen. Und von dort aus über den ältesten Weitwanderweg des Landes nach Süden bis zur Staatsgrenze. Bei Eibiswald, so der Plan, könne man auf einen weiteren österreichischen Weitwanderweg aufspringen, der entlang der südlichen Grenze zu Slowenien bzw. Italien nach Osttirol führt.

Doch daraus wurde nichts: Die Bergregion, die in den Prospekten heute Hochsteiermark genannt wird, stellt bei diesen Schneemengen ein Problem dar. Die beiden waren zudem auf Quartiere angewiesen, also war eine Hochschwab-Überquerung in der Vorsaison schlicht nicht möglich. So hieß es, schon frühzeitig Spontaneität zu beweisen: Die Lukans wechselten kurzerhand auf das Wegenetz der heimischen Pilgerpfade, die bekanntlich unterwegs kein Gotteshaus auslassen und damit ein “Kirchenwirt-Hopping” ermöglichen. Problem gelöst – auf den Pfaden des Herrn kamen sie auch so zur südlichen Landesgrenze.

“Fein, da kann ich in Mariazell ein Lichtl anzünden!”

Doch zu ihrem höchsten Bedauern erwies sich der Restschnee im Frühjahr 1984 als besonders zäh, und so blieben ihnen auch die Südalpen versagt. Ihre Ausweichroute durch die Täler Kärntens führte sie entlang der Markierungen des Kärntner Mariazellerweges über die sanften St. Pauler Berge nach Klagenfurt. Als Leser bin ich offen gestanden erleichtert darüber, dass wir hinter dem Wörthersee langsam bekanntes Terrain verlassen. Denn durch meine Brille, die mein Auge in erster Linie auf Wissenswertes zur Alpentour lenkt, beinhaltet der Reisebericht nämlich bislang ein wenig gar viel G’stanzln aus vergangenen Tagen und Rückblicke auf Bergfahrten, deren Erlebnisse mit der Alpentour nicht immer in erkennbaren Zusammenhang stehen. So erfährt man auf der Strecke von Wien nach Kärnten von

  • einem selbstgeschnitzten Wanderstock (2 Seiten),
  • einem Ausrutscher bei einer Kletterpartie am Peilstein (1 Seite),
  • Anekdoten verschiedener Wiener Wallfahrter (“Hab Blasen auf den Füßen – tu alle nach mir grüßen.”, 1,5 Seiten),
  • nicht mehr zutreffenden Schilderungen Peter Roseggers  (1 Seite),

denen zum Abschluss ein vierseitiger Steiermarkschwerpunkt mit Schlossberg-Japanern (“Oh – wir sind hier nicht in Salzburg?“), Schilcher-Erlebnissen und stempelsammelwütigen Weitwanderern folgt. Fazit: Wer sich wie ich nur für den Reisebericht selbst interessiert, kann etwa ein Drittel der 175 Buchseiten überspringen. Meine Hoffnung, dass sich dies im verbleibenden Teil des Buches ändern wird, erwies sich zudem als unbegründet. Was nicht heißen soll, dass diese Mischung nicht durchaus unterhaltsam sein kann – es kommt bei dem Buch wohl nur darauf an, was man sich davon verspricht.

LUKAN, Karl: Alpenspaziergang

LUKAN, Karl: Alpenspaziergang

Über Kärnten haben selbst die Lukans nicht mehr viel zu erzählen. Ich nehme an, dass sie das Land weitestgehend auf jener Route durchstreift haben, der heute als “Marienpilgerweg” vom Maria Rojach im Lavanttal über Maria Rain nach Maria Saal, weiter nach Maria Wörth und schlussendlich vorbei an Maria Gail nach Maria Luggau führt. Für diese Routenwahl spricht, dass es dort mit Sicherheit keinen Mangel an Kirchenwirten gibt.

Über die Dolomiten und, ja halt, wie denn das so war damals mit dem Weitwandern, erfährt man in Folge bedauerlicherweise so gut wie gar nichts. Viele in den 50er Jahren stattgefundene Klettertouren lieferten den Stoff, um nochmals ordentlich in die Vergangenheit abzutauchen. So zogen die Sextener Dolomiten, Sella und Seiser Alm vorbei, ohne einen einzigen Eindruck von der Tour selbst zu vermitteln. Das ändert sich auch nach Bozen nicht wesentlich, nur mit dem einen Unterschied, dass nun kulturgeschichtliche Themen breiteren Raum einnehmen. Karl Lukan hatte ja in publikatorischer Hinsicht zwei Schwerpunkte: Einerseits die Bergwelt, doch andererseits auch die Kulturgeschichte insbesondere des östlichen Alpenraumes. Das prägt nun den Alpenspaziergang. So besteht der Abschnitt zwischen Bozen und Meran im Reisetagebuch zu einem Großteil aus Betrachtungen zu vorgeschichtlichen Kultstätten, wie Hexensessel und Herzogstühlen. Nicht, dass mich das nicht auch interessieren würde – ich habe mir wie bereits erwähnt nur etwas anderes vom Titel erhofft. Halt weniger sitzen, und mehr spazieren.

“Ich dachte an die ersten Zeilen des Bergzigeunerliedls vom Rauscher Ernstl:
‘Ist es nicht ein wunderbares Leben,
frei wie Zigeuner wir sind.
Einmal hier und dort zu leben
hin und her zu ziehen wie der Wind …”

Alpenspaziergang, S. 80

Ist das Stilfser Joch überwunden, geht es erfreulicherweise mit neuer Schwerpunktsetzung weiter: Den Erlebnissen und Vorkommnissen  auf der Tour wird nun der ihnen gebührende Platz eingeräumt. In der zweiten Buchhälfte kommen vermehrt Bilder zum Einsatz, wobei auch hier viel aus dem Archiv stammt. So geht beispielsweise eine halbe Buchseite für eine Skizze auf, die 1890 beim Bau einer Hütte am Mont Blanc angefertigt wurde. Ein Stützpunkt, der überhaupt gar nicht am Weg liegt.

Sehr stimmig ausgefallen ist das Abschlussdrittel, welches sich den Wegen links und rechts der italienisch-französischen Grenze widmet. Insbesondere die geschilderte Besteigung des Rocciamelone weckte auch in mir die Vorfreude auf diesen Berg und auf den Besuch der Zustiegshütte auf knapp 2900 m Seehöhe. Überhaupt ist die Beschreibung der Wegstrecke, die sich heute GTA bzw. GR5 nennt, vergleichsweise detailliert ausgefallen, sodass es mit gelang, dem Wegverlauf einigermaßen verlässlich nachzuspüren:

 

Lukan-Alpenspaziergang-Route

Am Ende des Buches befindet sich ein dreiseitiger Anhang, der die Eckpunkte des Streckenverlaufes in Stichworten zusammenfasst, und einen Blick auf die verwendeten Karten bzw. Führerwerke erlaubt. Detail am Rande: Unter der Annahme, dass sich die Lukans sicherlich am aussagekräftigsten, damals erhältlichen Kartenwerk orientiert hatten, ist aus dieser Liste abzulesen, dass es damals für weite Teile Österreichs keine Karten im Maßstab 1 : 50 000 gab. Die beiden mussten die Tour also mit Karten planen, die man heute nur mehr bei Straßenatlanten verwendet.

Fazit: Ein gemütliches, leichtfüßiges Lesebuch, mit vielen Anekdoten aus Lukans Bergsteigerleben. Wenig konkrete Informationen zum Streckenverlauf, dem “Leben unterwegs” oder den besuchten Regionen. Das vergriffene Werk ist aktuell nur über Buch-Antiquariate zu bekommen. Rufpreis meist um die 40 Euro.

 

 

 

 

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Last modified: 28. März 2016
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