Written by 17:42 #sunnysideUP, Fernwandern, Italien, Tourtagebuch • 5 Comments

(Tag 064-067) Schöne neue Welt!

Nach zwei Ruhetagen nehmen wir Abschied vom Lago Maggiore und arbeiten uns über zwei Verbindungsetappen zur Grande Traversati dei Alpi vor.

Will man vom Lago Maggiore aus in die entlegenen Bergregionen des Piemont vordringen, empfiehlt sich Stresa als Startpunkt, hier sind es nur mehr zwei Tage bis zur GTA. Die “Grande Traversati delle Alpi” ist für mich eine ganz besondere Sache. Dieser Weitwanderweg wurde von ehrenamtlichen Turiner Bergfexen vor fünf Jahrzehnten aus der Taufe gehoben. In etwa 60 Tagen werden 1000 piemontinische Bergkilometer erwandert, und zwar vor allem im Auf und Ab, denn die Berge hier weisen ein äußerst markantes Relief auf.

Der Weg erlebte einige Jahre lang einen richtiggehenden Boom, bevor noch in den 70er Jahren das Interesse erlahmte. Erst einige Jahre später, als der deutsche Alpenforscher und Universitätsprofessor Werner Bätzing die GTA einem größeren Wanderpublikum bekannt machte, um durch Nächtigungseinnahmen der Entsiedelung der strukturschwachen Region entgegenzuwirken, erlebte der Weg einen zweiten Frühling.

Heute ist die GTA immer noch ein Geheimtipp, hier ist man so gut wie immer alleine unterwegs. Entlang des Weges wurden in Orten, die keine Beherberger haben, sogenannte Posti Tappa eingerichtet. Das sind Räume in Schulen etc., die über den Sommer zum Schlaflager umgerüstet wurden. Dort kann schon sein, dass man jemand trifft. Derzeit sind wir ungefähr im Gleichschritt mit zwei Däninnen unterwegs, und eine fünfköpfige deutsche Familie ist etwa in gleichem Tempo, jedoch ganz autark mit Zelt unterwegs. Unterwegs trifft man sich hin und wieder, und dann zieht jeder wieder in seinem Tempo weiter. Das war’s dann auch schon wieder an “Gewusel” am Weg.

Zwei Verbindungsetappen waren es, die uns zur GTA brachten. Die erste führte über den Ausflugsberg Mottarone nach Omegna am Lago d’Orta. Eine Tour, die gegensätzlicher nicht sein hätte können: Führte der Vormittag über Straßen und breite Forstwege eher gemütlich (also todelsicher) zum Gipfel, ging es am Nachmittag bei spannender Markierung durch mannhohes Gras zum See. Für den Weg hinunter haben wir jedenfalls deutlich länger gebraucht als für den gleich langen Aufstieg – trotz dem immer sichtbaren Ziel vor Augen.

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Erst am späten Nachmittag erreichten wir die erste und einzige Alm am Weg – die auf knapp 600 m gelegene Alpe Mastrolini – mit Trinkwasser!

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Von der Seehafenstadt Omegna führt uns der Weg ins schöne Strona-Tal. Weil die örtlichen Tourismusverantwortlichen jedoch seit Jahren nicht in der Lage sind, den etwa 3 Kilomer langen Wanderweg zu Beginn der Etappe freizuschneiden, ist der Fußweg durchs Tal de facto zum Vergessen. Unverzagte wie wir, die es trotzdem versuchen, werden nach etwa 1,5 Stunden auf die schmale, und dennoch unangenehm stark befahrene Straße abgedrängt, der man dann für weitere 12 Kilometer nach Forno zu folgen hat.

Forno ist ein sehr hübscher Ort am oberen Talschluss. Alte Steinhäuser (mit Schieferdach) mischen sich mit Gebäuden neuerer Machart, die alle sehr gut miteinander harmonieren. Hier im “Gebirg” habe ich in einem Garten eine Palme gesehen. Am Zaun davor hängt ein Schild, welches den Gemeindearbeiter ersucht, bei der Schneeräumung bitteschön nicht immer den Schnee vor seine Einfahrt zu schieben.

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Abendessen gibt es beim Löwenwirt. Im Albergo de Leone werden wir vom einheimischen Publikum sehr freundlich aufgenommen. Wir unterhalten uns übrigens meist auf dengilienisch und mit Einsatz aller Gliedmaßen – was in der Regel hervorragend funktioniert! Der Herr neben mir am Foto (dessen Sitzposition unter dem Monte Rosa Massiv übrigens in etwa unseren Aufenthalt markiert) spricht allerdings besser Englisch als alle anderen Italiener bis hierher zusammengenommen, das machte die Sache einfach.

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Im Piemont fällt das Munterwerden nicht schwer. Eine Kirchenglocke läutet – wie in Rimella – um 7 Uhr morgens erst einmal 50 mal (Tatsache!), um drei Minuten später (!) die aktuelle Uhrzeit zu verkünden (weitere 7 Glockenschläge). Ein paar Minuten später folgen nochmals 6 Schläge – und keiner von uns weiß, wofür die noch gut gewesen sein könnten – wahrscheinlich für die 6 Minuten, die die Folter schon andauert. Wozu man quer durch die Nacht ebenfalls zu jeder vollen Stunde läutet, wissen wohl auch nur die gottgefälligsten Piemontesen.

Uns kann das nicht erschüttern. Trotz oder vielleicht wegen der etwas kühleren Tage sind wir alle jeden Morgen hochmotiviert. Rosi kann sich beim Abmarsch eine Weile nicht von diesem wunderschönen Stilleben lösen (man beachte die “Diebstahlsicherung” am Lenker) …!

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An Tag 3 unseres Piemont-Abenteuers geht es endlich auf die “richtige” GTA. Eine sehr fesche Etappe bringt uns über gut erhaltene/gepflegte Walserwege zur Baumgrenze. Für mich war das erste GTA Schild zugegebenermaßen ein recht emotionaler Moment … zu Fuß quer durch mittlerweile vier Alpenstaaten zu DEM europäischen Weitwanderweg zu gelangen … ein sehr großer Moment …!

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Am Abend kommen wir zu unserem ersten “Posto Tappa”, diesmal in Form des geschichtsträchtigen Albergo Fontana. Eine Institution! Der (in Wahrheit ein kleines bisschen kleinere) Gasthof ist bei GTA Wanderern wegen seiner einzigarten Halbpension bekannt. Fünf (5!) Gänge galt es zu bestreiten, als die Chefin des Hauses sich anschickte, die Vorspeisenteller wegzuräumen und für die HauptspeiseN aufzudecken! Das Spiel wiederholte sich fünf (5!) weitere Teller lang, bevor wir mit der Bitte um Vergebung die Kapitulation verkündeten.

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Tja, und für heute, dem Tag danach, hatten wir uns Einiges vorgenommen. Unseren hochtrabenden Plan, zu einem Biwak am Übergang ins Nachbartal hochzutraben, mussten wir am späten Vormittag in einem plötzlich einsetzenden (und nie mehr aufhörenden) Starkregen ersäufen.

Zeit genug, um endlich ein paar Rechnungen bei meinem Turm- und Damenfressenden Freund Roman zu begleichen!

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Schach Matt!

 

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Last modified: 20. August 2016
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