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[Tag 087 – 089] Es wird Herbst…

Zum Auftakt in den Cottischen Alpen geht’s in den einsamen  Naturpark Orsiera-Rocciavrè, wo unterhalb des 2600 m hohen Passüberganges ein Selbstversorger-Biwak einen Platz für die Nacht bereithält.

Es scheint, als begänne für mich in Susa der meditative Teil der Tour. Drei Tage lang werde ich nun keinen einzigen Wanderer treffen, auch in den Quartieren bin ich bereits der einzige Gast. Spricht man mit den Menschen, so spürt man, dass auch sie die Saison innerlich für beendet erklärt haben. Wiederholt bekomme ich zu hören, dass ich vermutlich der letzte GTAler dieses Sommers wäre.

Das Wetter tut sein Übriges dazu, dass beim Start in Susa Herbststimmung in der Luft liegt.

In dieser Region des Piemont spricht man übrigens neben der Landessprache am ehesten französisch. Oder aber nicht zu selten Okzitanisch – was die Sache für mich nicht unbedingt einfacher macht. Aber irgendwie geht’s immer, und man versteht mich und meine Gebärdensprache. Beim italienischen Activity wäre ich mittlerweile sicher eine Hausmacht. Gib mir irgendein deutsches Wort, und ich zeige es – auf italienisch!

In welchem Land man sich befindet, darüber besteht in Italien auch wenige Kilometer vor der französischen Grenze kein Zweifel:

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Vom Susa-Tal zur (im Sommer unversperrten) Hütte braucht man einen halben Tag.

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Am frühen Nachmittag treffe ich dort ein. Um keine Sekunde zu früh…

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… denn kaum dass ich unter Dach bin, beginnt es so stark zu gewittern, dass Regenwasser in die Hütte gelangt.

Brennholz ist auf Hütten oberhalb der Waldgrenze immer Mangelware, also heize ich am Nachmittag nur einmal kurz ein, koche viel Tee – und einen halben Kilo Spaghetti für Mittag-, Abendessen und Frühstück. Kalte Pasta Asciutta ist eine Delikatesse – wenn es sonst nichts anderes gibt.

Am nächsten Morgen geht es in Einklang mit der Wetterprognose noch in der Dämmerung zum Colle dell’Orsiera hinauf, an dessen Südseite mich das Chisone-Tal vorerst recht freundlich aufnimmt.

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Dennoch habe ich nur bis ca. 14 Uhr Zeit, um den angekündigten Regengüssen auszuweichen. Kurz nach 13 Uhr sitze ich bereits vor meinem Vitello Tonnato in der Trattoria von Usseaux. Bald darauf beginnt es zu regnen.

Usseaux gilt als einer der schönsten Orte Italiens. Eng aneinander gereihte Steinhäuser, schmale gepflasterte Gassen, viele kleine und größere Brunnen mit schrägen Steinplatten, auf denen einst die Wäsche saubergerieben wurde.

Sehr nett, manchmal vielleicht  auch ein wenig kitschig die ‘Murales’ – die auf den Wänden der Häuser das Ortsbild aufheitern – so wie bei diesem Verteilerkasten:

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Ich übernachte im sehr sympathischen Agriturismo Pzit Rei und habe das gleichsam gemütliche wie geschmackvolle Speisezimmer abends für mich alleine.

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Alles, was auf den Tisch kommt, ist selbst gemacht bzw. kommt aus dem Bio-Garten unterm Balkon.

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Am nachsten morgen geht’s immer der Gams nach:

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Der Weg zum 1300 m höher gelegenen  Col Albergian (2713 m) ist gemütlich – und kurzweilig.

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Einzig das begleitende Donnergrollen macht mich ein wenig unentspannt, doch es bleibt nach anfänglichem Herumgeniesel letztlich ein trockener Tag.

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Zu sehen gab es allerdings nicht viel. Anstelle des von Iris versprochenen Monte-Rosa-Blickes begnüge ich mich mit dem Entziffern der Wegtafeln.

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Im Abstieg sichtbare Spuren des Zeitzahnes. Bei manchen Gebäuden wird man nicht umhin kommen, sich das Dach einmal näher anzusehen.

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Im Piemont allgegenwärtig und nicht gerade meine Begeisterung schürend sind die vielen freilaufenden, wenig Liebenswürdigkeit ausstrahlenden Wach- und Hirtenhunde. Mit letzteren habe ich mich bereits arrangiert, denn die Hirtenhunde sind in der Regel gut erzogen und sehen ihre Aufgabe darin, mich, den potentiellen Viehdieb, nur lauthals zu stellen, ohne mich gleich in der Luft zu zerreißen.

Was aber tut man, wenn sich einem ein solches Ungeheuer in den Weg wirft?

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Da hilft nur beten.

Das Schicksal meinte es gut mit mir. In Didiero übernachte ich in der alten Waldenser-Schule. Bei Iris steht zu lesen, dass die Schulkinder dazu angehalten waren, täglich ein Stück Brennholz mitzubringen. Wer darauf vergaß, stapfte mit einem Holzzockel weniger nachhause.

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Im Schulgebäude wurde der obere Stock zu einem Posto Tappa (“Etappenstützpunkt”) umgebaut, weil es im Tal zu wenige Gästebetten gibt. Das sieht dann beispielsweise so aus und kostet inklusive viergängigem Abendessen und Frühstück im Ort zwischen € 40 (Lager) und € 50 (Zimmer).

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Die nächsten zwei Tage bringen meine Planung durcheinander. Das Zusammenfallen von Schlechtwetter (Schneefallgrenze auf 2300 m) und zwei hohen Passübergängen lässt mich zwei Sightseeingtage in der ehrwürdigen, zu Unrecht als “Detroit Italiens” bezeichneten Hauptstadt des Piemonts andenken.

Dazu muss ich allerdings vorher bei diesen Beiden vorbei – denn die Bushaltestelle ist genau hinterm hinteren Hintern.

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Am Ende der Etappe wartet noch eine große Überraschung auf mich. “feriale” heißt nicht wie irrtümlich angenommen “Ferien”, sondern “werktags”.

Das wirft natürlich ein völlig neues Licht auf den Busfahrplan!

Also ging es per Autostopp mit einer sehr gesprächigen, jedoch keines einzigen nicht-italienischen Wortes mächtigen Dame den Berg hinunter, sodass ich den Tag doch noch mit einem regionstypischen Menü ausklingen lassen kann.

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Mahlzeit!

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Schlagwörter: Last modified: 16. September 2016
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