Hans Thurner und seine Partnerin Anita schultern Mitte April 2011 am Stadtrand von Wien ihre Rucksäcke, um über die Sommermonate den gesamten Alpenbogen zu durchwandern. 101 Tage wird es dauern, bis sie nach Durchquerung von Österreich, Italien und den französischen Seealpen in Nizza ihre Zehen ins Mittelmeer stecken. Ihre Route verläuft südlich des Alpenhauptkammes und führt über Südösterreich sowie Südtirol zur Ortlergruppe und weiter zu den Oberitalienischen Seen. Der letzte Teil der Reise folgt den Weitwanderwegen an der italienisch-französischen Grenze.
Der kurzweilige Reisebericht stellt in erster Linie das persönliche Erlebnis in den Mittelpunkt: Bild und Text vermitteln einen Eindruck davon, was es bedeutet, über mehrere Monate hinweg den gesamten Hausrat auf das Fassungsvermögen des eigenen Rucksackes beschränken zu müssen. Die Erzählweise dabei ist persönlich gehalten – die beiden haben auch kein Problem damit zuzugeben, dass unterwegs nicht immer alles eitel Wonne war. Vor allem das Wetter spielte oft nicht so mit, wie es sich die beiden gewünscht hätten – was auf manchen Fotos besser zum Ausdruck kommt, als es mit Worten je möglich gewesen wäre.
Kultur und Landschaft werden im Text selbst kaum behandelt. Obwohl Hans Thurner anfangs auf Karl Lukans Alpenspaziergang verweist und auch gleich eine Anekdote über Joseph Kyselak von dort übernimmt, trennen sich die erzählerischen Wege der beiden bereits auf den Anfangsseiten: Während Lukan seinem kulturgeschichtlichen Hintergrundwissen sowie seiner bergsteigerischen Vergangenheit in Form von zahlreichen Rückblicken breiten Raum einräumt, lässt Thurner uns Leser “hautnah” an den Höhen und Tiefen des Fernwanderleben teilhaben. So spürt man förmlich das kalte Wasser den Nacken hinunterlaufen, wenn Anita und Hans nach einer Pause wieder in den Regen hinausgehen und sich auf den nächsten Pass hochkämpfen.
Das Buch überzeugt durch stimmige Bilder, die – sehr zum Vorteil des räumlichen Eindruckes – oft eine Doppelseite einnehmen. Insgesamt (ohne nachgezählt zu haben) dürfte das Verhältnis zwischen Bildern und Text bei ca. 2:1 liegen. Die Auswahl ist abwechslungsreich und lässt neben der landschaftlichen Kulisse genug Platz für Menschen, Hütten, die Kulinarik am Weg und so manche Kleinigkeiten, die einfach nur den Text ergänzen. Wie beispielsweise das Bild vom Teppich aus aufgebreiteten Landkarten, der während der Tourenvorbereitung die Wohnung verschönerte. Jeder, der schon einmal eine längere Tour vorbereitet hat, kennt diesen Teppich – und liebt solche Bilder.
Fazit: Ein schönes Buch für die kalte Jahreshälfte – am besten auf der Couch mit einer Teetasse in der Hand eintauchen. Und Pläne für den nächsten Sommer schmieden.
martin/vergissmi.net
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