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Warum sich heuer nur eine einzige Wandertour ausgeht

Seit Wochen sieht es rund um meinen Schreibtisch aus wie im Zimmer des zerstreuten Professors: Aufgeschlagene Bücher mit dem Gesicht nach unten, daneben stapelweise Bergsteigerzeitschriften. Mit bunten Notizzetteln zwischendrin. Landkarten, Wanderbücher, und viel unsortiertes Zettelwerk. Und ein schon wieder leeres Kaffeehäferl.

Begonnen hat alles im Mai 2014. Obwohl ich das zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht wusste. Kai, ein Franke von Geburt, nahm damals gerade die beschwerliche Zugfahrt von Bayern in die Steiermark auf sich, um von Graz aus zu einem – Zitat – Sommerspaziergang aufzubrechen. Als er 108 Tage später im Jardin Exotique de Monaco seine Wanderstöcke auseinander schraubte, haben sich unter seinen Sohlen 1760 Kilometer (und 63 Meter) aufsummiert. 100.383 Aufstiegshöhenmeter lagen hinter dem Mann aus dem Norden. Und 100.736 Meter ging es bergab. Womit endlich bewiesen wäre, dass Graz tatsächlich 353 m über dem Meeresspiegel liegt.

Kais ausgefeilte Wanderroute

Ein Sommerspaziergang will genau geplant sein

Im Sommer ’14 war ich gerade damit beschäftigt, ein spannendes und schönes Buchprojekt abzuwickeln, da war für die Schönheiten der außer-österreichischen Alpen kein Platz. Erschwerend hinzu kam, dass ich von Kais Abenteuer eben noch gar nichts wusste. Auch ein Jahr später, also 2015, als sich Kai daran schickte, seine ellenlange Tour in Form eines netten Freizeitvergnügens der Welt zu präsentieren, nahm ich zwar Notiz von dieser außergewöhnlichen Idee, doch steckte ich bereits wieder in einem anderen, nicht minder schönen Buchthema, sodass mir allzu weit entfernte gedankliche Ausflüge wieder nicht in den Plan passten.

Nun, inzwischen schreiben wir 2016, und ein fesches Manuskript voller steirischer Almhütten wird im Münchener Lektorat gerade aufgehübscht. Das gute Stück wird wohl in Bälde fertig sein – womit im Kopf wieder Platz für neue Ideen wäre. Zeit, sich über künftige Projekte Gedanken zu machen. Mein fünftes Buch sollte zur Abwechslung nicht in der nahen Heimat spielen. Und vielleicht auch gar kein typisches Wanderbuch werden. Ich hatte da auch schon einige Zeit etwas sehr Bestimmtes im Hinterkopf. Dass ich dabei über den Sommerspaziergang stolpern würde, war unvermeidlich.

Andate via!

Immer schon war ich ganz froh darüber, dass ich bei meinen Projekten weder der Erste noch der Schnellste sein muss. Das wird auch so bleiben, denn besonders schnell bin ich sowieso nicht. Ich glaube ich möchte auch nicht das Thema einer unguten Prüfungsfrage im Geschichtsunterricht sein. Zum Glück wurden all die schneller-höher-weiter-Rekorde bereits vor zwei Jahrtausenden aufgestellt – und zwar von den 50 000 Haudegen, die im Schlepptau von Hannibal durch die Südalpen zogen.

In jüngerer Vergangenheit, also in den letzten paar Jahrzehnten, schien es allerdings gar nicht so viele Alpendurchquerer zu geben, wie man angesichts der vielen neuen Langstrecken glauben möchte. Von der Handvoll Abenteurer sind wohl Fritzi und Karl die bekanntesten – also die “Lukans”. Was die Tour der beiden so besonders macht, ist die Zeit, in der sie stattgefunden hat: Ihr Alpenspaziergang – so der Titel eines von über 50 Büchern der 2014 verstorbenen Wiener Bergsteigerlegende Karl Lukan – liegt bereits mehr als drei Jahrzehnte zurück, und fällt daher in eine Epoche ohne OSM, Outdooractive und anderem Schnickschnack. Lang ist’s her: Als Lukan mit seinen Karten am Wohnzimmerboden saß, rauften sich gerade Limahl, Nena und Laura Branigan um die vorderen Plätze der Ö3 Hitparade.

LUKAN, Karl: Alpenspaziergang

LUKAN, Karl: Alpenspaziergang

Die österreichischen Landkarten waren schon damals nicht so übel – doch wie sich später zeigen sollte, wurde die Datenqualität am Weg in den Süden immer grauslicher. Gerade deshalb ist ihre Tour wie auch ihre Routenwahl bemerkenswert und inspirierend. Doch auch wenn heute alles viel einfacher erscheint, sind sich alle Fernwanderer, mit denen ich bislang plaudern konnte, in einem Punkt einig: Viele der transalpinen Wege, die in den letzten zwei Jahrzehnten aus dem Boden sprießten, sind zwar am Papier perfekt dokumentiert, in der Natur jedoch nur schwer – oder gleich gar nicht – zu finden. Da wird geschimpft über lange Wegabschnitte, die es in der Wirklichkeit gar nicht gibt. Und Wanderkarten verflucht, die mit der Realität nicht im Entferntesten etwas zu tun haben. Der einfache Grund: Soooo viele Leute interessieren sich dann doch wieder nicht dafür, wie man zu Fuß am g’scheitesten von Österreich ans Ligurische Meer kommt. Und wie überall halt bestimmt die Nachfrage das Angebot.

Nach den Lukans hörte man lange nichts mehr von erfolgreichen Alpendurchquerungen. Das sollte sich erst in den 2000ern ändern. Was aber auch daran liegen könnte, dass man es inzwischen einfach eher mitbekommt, wenn sich jemand auf die Socken macht. Da war zum Beispiel Rudolf, der Ex-Banker, der sich rechtzeitig vor der großen Pleite der Lehman Brothers ein Paar Wanderschuhe kaufte und seine Abfertigung in die Besteigung von über 30 Viertausendern investierte. Oder Alwin, von dem ich auch nach wiederholtem Studium seines Reiseberichtes nicht weiß, welcher Teufel ihn so zur Eile trieb, dass er sich nach etwas über 70 Tagen und überglücklich darüber, dass seine Tortur ein Ende hat, in den französischen Sand fallen ließ. Oder der Berliner Thomas, dessen Route ich ebenfalls schon genau studiert habe. Oder Jörg, der Mur und Meer miteinander verband, und auf den Monaten dazwischen sein Leben als IT Manager hinter sich ließ. Oder Brigitte und Gernot, die ihre Alpentour auf alle Urlaubstage der letzten Jahre verteilten. Soll niemand sagen ich tue so, als wäre das alles allein auf meinem Mist gewachsen. Erst unlängst gab es wieder einen Neuzugang am Buchmarkt, auch wenn die Tour selbst schon einige Jahre zurückliegt: Hans folgte seiner Partnerin Anita von der Donau an die Küste – und lässt uns in einem (hier bereits vorgestellten) Bildband an der Tour teilhaben.

Der Weg

Als ich damit begann, die Wege zwischen daheim und Mittelmeer genauer anzusehen, habe ich eine interessante Entdeckung gemacht: Es gibt zwar inzwischen eine Fülle an Möglichkeiten, monatelang im Alpenraum herum zu strawanzen – doch wer von Österreich nach Monaco will, muss weite Umwege auf sich nehmen. Viel einfacher hat man es, wenn man die Alpen einfach nur durchqueren möchte – also eine möglichst günstige Strecke sucht, um einmal in Nord-Süd-Richtung drüber zu marschieren. Hier gibt es einige sogar sehr attraktive Routen, die Paradestrecke München – Venedig zum Beispiel. Oder der Alpenabschnitt des Fernwanderweges E5. Dazu kommen nagelneue Ideen wie Christofs Verbindung Salzburgs mit Triest oder von der Tourismusbranche getragene Projekte wie der Alpe Adria Trail mit seiner Südalpen-Überquerung.

In Ost-West-Richtung sieht das Angebot gleich etwas schütterer aus. Is’ ja auch viel länger. Die meisten Möglichkeiten finden sich im Bereich der Zentral- und Nordalpen, die beide über einen (österreichischen) Weitwanderweg der Länge nach abspaziert werden können – und im angrenzenden Ausland sogar eine Fortsetzung finden. Teile dieser Strecke gehören zum Wegenetz der Via Alpina. Diese Via Alpina ist ein aus EU Fördermitteln gespeistes Projekt, alle acht Alpenstaaten über ein Wanderwegenetz miteinander zu verbinden. Das ist gelungen, allerdings haben auch hier die Nord-Süd-Wanderer die besseren Karten.

Via Alpina

Nach einem Blick auf das Wegenetz stellte sich mir eine Frage: Wann genau wurde denn Vorarlberg zum Mittelpunkt der Weitwander-Welt? Es scheint, als hinge im Sekretariat der Via Alpina ein Gebot auf der Wand: “Was immer Euch einfällt – schaut’s dass d’ Leut’ auch nach Vorarlberg kemman!” Insgesamt bildet das Wegenetz – dem natürlichen Verlauf des Alpenbogens folgend – eine Kurve, die bei den Seealpen beginnt, und im Dinarischen Gebirge endet. Während es auf der Nordseite des Alpenkammes gute Möglichkeiten für eine Durchquerung gibt (zwei – natürlich zufällige – Beispiele wären Wien-Vorarlberg oder Hainburg-Vorarlberg), wird von den Südländern etwas mehr Kreativität abverlangt. Was bis heute fehlt, ist ein eine Strecke, die durchgehend auf der Südseite der Alpen verläuft. Oder, um es mit obiger Karte zu verdeutlichen: Eine etwas direktere Verbindung insbesondere im Bereich zwischen Triglav und Aoste im NP Gran Paradiso.

Unterwegs auf der Sonnenseite – und dabei immer oben bleiben.

Im Auftrag meines inzwischen langjährigen Verlagspartners, dem Bergverlag Rother, darf ich mich heuer im Sommer auf die Suche nach einer solchen, möglichst attraktiven Verbindung machen. Eine Längsdurchquerung, die ausschließlich durch die Südhälfte des Alpenbogens führt und damit das Wegenetz der Via Alpina ergänzt. Für einen Weitwanderer wie mich geht damit ein Traum in Erfüllung – das Entwerfen eines Fernwanderweges! Dass nun entgegen anders lautender Vorsätze doch wieder ein Wanderprojekt im Mittelpunkt meiner aktuellen Überlegungen steht, ist unter diesen Umständen leicht zu verschmerzen …

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Last modified: 31. Mai 2016
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